„Weilburg – ein globales Dorf“

Ein Vortrag von Hans-Peter Schick als Beitrag des Geschichtsvereins zur intekulturellen Woche

Luftbild Weilburg von Dktue, via Wikimedia
Luftbild Weilburg von Dktue, via Wikimedia

Geschichtsverein Weilburg e.V.

Hans – Peter Schick

Weilburg an der Lahn

 

 

„Weilburg – ein globales Dorf“ 

Interkulturelle Woche 2019 „ZUSAMMEN LEBEN, ZUSAMMEN WACHSEN“

Vortrag:  Dienstag, 24. September 2019, 20.00 Uhr,

               Aula im Spielmann-Kulturzentrum Weilburg, Frankfurter Str. 42

 

 

                                                                                   Unsere Welt ist ein Dorf!

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

herzlich danke ich unserem Ausländerbeirat der Stadt Weilburg, dass ich im Rahmen der Interkulturellen Woche mit dem Motto „ZUSAMMEN LEBEN, ZUSAMMEN WACHSEN“ hier und heute zu dem Thema „Weilburg – ein globales Dorf“ sprechen darf. Mein Fazit darf ich an den Anfang meiner Ausführungen stellen: Weilburg ist Teil eines globalen Weltdorfes, Weilburg ist selbst ein globales Dorf!

 

Zunächst aber darf ich zum Einstieg ein Weltdorf kurz skizzieren:

 

Stellen wir uns vor, die ganze Menschheit mit aktuell 7.674.575.000 Menschen reduzieren wir auf ein Dorf mit 1001 Einwohnern:

 

·       584 Asiaten

·       124 Afrikaner

·          95 Europäer

·          84 Lateinamerikaner

·          55 aus der früheren Sowjetunion

·          52 Nordamerikaner

·            6 Australier und Neuseeländer

 

·       165 würden Chinesisch und Mandarin sprechen

·          86 Englisch

·          83 Hindi und Urdu

·          64 Spanisch

·          58 Russisch

·          37 Arabisch

·       der Rest spricht noch über 200 weitere Sprachen, darunter Deutsch

 

·       329 Christen

·       178 Muslime

·       167 Atheisten

·       132 Hindus

·          60 Buddhisten

·          45 Vertreter von Naturreligionen und Animisten

·            3 Juden

 

·       520 der Menschen im Dorf sind Frauen

·       480 Männer

·       360 Kinder leben im Dorf

·          90 in totaler Armut

·          30 sterben, bevor sie fünf Jahre alt werden

·          75 Kinder müssen täglich schwer arbeiten

 

·          31 Babys werden im Jahr geboren

·          10 Menschen sterben, drei davon an Unterernährung, einer durch Krebs

·            1 Person wäre HIV-infiziert

·       330 Dorfbewohner haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser

 

·       1890 Hühner gibt es im Dorf

·          310 Schafe und Ziegen

·          230 Rinder

·          150 Schweine

 

·       über 600 Menschen leiden ständig unter Hunger

·       200 Menschen im Dorf verdienen genau 75 % des Gesamtgeldes

·       200 weitere Menschen teilen sich nur 2 % der Gesamteinnahmen

·          70 Menschen besitzen ein eigenes Auto

·       die reichsten 200 haben mehr als 10.000 € pro Jahr

·       die ärmsten 200 haben weniger als 1,50 € am Tag

 

·       760 Einwohner haben Strom

·       420 ein eigenes Radio

·       240 einen Fernseher

·       140 ein Telefon

·          70 einen Computer 

 

·       von den 640 Erwachsenen wäre die Hälfte Analphabeten, also 320

·       310 Kinder gehen zur Schule

·          70 Kinder gehen nicht zur Schule

 

·       das Dorf verfügt über 1.500 Hektar

·       175 Hektar werden für die Ernte verwendet

·       350 Hektar sind Weideland

·       475 Hektar sind Wald

·       500 Hektar sind Wüste, Tundra, Asphalt

 

·       es gäbe 5 Soldaten, sieben Lehrer, aber nur einen Arzt

 

Übrigens, falls Du heute morgen gesund und nicht krank aufgewacht bist, bist Du glücklicher als die Millionen Menschen, welche die nächste Woche nicht erleben werden.

 

Falls Du nie einen Kampf des Krieges erlebt hast, nie die Einsamkeit durch Gefangenschaft, die Agonie des Gequälten oder Hunger gespürt hast, dann bist Du glücklicher als 3 Milliarden Menschen.

 

Falls Du in die Kirche gehen kannst, ohne die Angst, dass Dir gedroht wird, das man Dich verhaftet oder Dich umbringt, bist Du glücklicher als 3 Milliarden Menschen der Welt.

 

Falls sich in Deinem Kühlschrank Essen befindet, Du angezogen bist, ein Dach über dem Kopf hast und ein Bett zum Hinlegen, bist Du reicher als 75 % der Einwohner dieser Welt, in der wir leben.

 

Kommen wir nach Weilburg an der Lahn:

 

·       13.000 Einwohner

·       über 80 Nationalitäten

-          deutsche

-          türkische

-          italienische

-          slawische

-          russische

-          vietnamesische

-          chinesische

-          peruanische

-          brasilianische

-          britische

-          französische

-          eriträische

-          somalische

-          syrische

-          us-amerikanische

-          afghanische

=   alle Kontinente sind in Weilburgs Bevölkerung vertreten

 

     und die Vielfalt nimmt weiter zu

=   unsere Kindergärten und Schulklassen sind „bunt“, vielfältig, geworden, 

 

     spiegeln unsere eine Welt, in der wir leben, wieder

=   wer für eine Grenze spricht, kommt zu spät, einst haben Deutsche im

     Ausland Zuflucht gesucht, heute suchen Menschen anderer Länder  

     Zuflucht in Deutschland, bei uns

 

·    An unseren Schulen lernen wir Englisch, Französisch, Spanisch, Russisch, Chinesisch, warum eigentlich? Damit wir fit sind für das Leben im globalen Weltdorf.

·     Zum Forstlichen Bildungszentrum kommen Fachleute aus aller Welt.

·       Unsere Schulen pflegen den weltweiten Austausch mit Schulen in aller Welt, verwirklichen dabei auch gemeinsame Projekte

·       Unsere Wirtschaft arbeitet international: In Lianyungang am Gelben Meer habe ich in einem chinesischen Unternehmen eine Maschine von ThermoTec Weilburg-Kubach angetroffen

·       Weilburger Coatings produziert auch in China und Indien, arbeitet mit Partnern weltweit zusammen

·       FEIG ELECTRONIC ist auf dem Weltmarkt vertreten, arbeitet weltweit

·       KLA Tencor ist ebenfalls weltweit tätig

·       Das Ukraine-Problem, die Brexitdiskussion, der Handelskrieg USA-China, all das merken wir an unseren Arbeitsplätzen , auch bei unseren Firmen in Weilburg

 

·       In unseren Autohäusern können wir Autos aus Frankreich, Südkorea, Japan, Tschechien, Spanien, Großbritannien erwerben

·       In unseren Lebensmittelmärkten können wir Lebensmittel aus China, Japan, Südkorea, Brasilien, Chile, Argentinien, Südafrika, Indien, Sri Lanka, Norwegen, Spanien, Italien, Portugal, Frankreich und vielen weiteren Ländern mehr einkaufen

·       Wir Weilburger reisen in die USA, in die Dominikanische Republik, nach Brasilien, nach Südafrika, Tansania, nach China, Indien und Tibet, nach Russland und Usbekistan, nach Australien, in die Antarktis und ans Nordkap, und in Europa in nahezu jedes Land von Schottland bis Griechenland, vom Baltikum bis nach Portugal

 

·       Nach Weilburg kommen Besucher aus China, Mexiko, USA, aus Luxemburg, Belgien, Niederlande, aus Russland, aus Frankreich, aus Großbritannien und vielen Ländern mehr

 

·       Die Weilburger Schlosskonzerte präsentieren alljährlich Künstler aus aller Welt.

 

·       Wir können in Weilburg deutsche Küche, aber auch die Küche der Türkei, von Italien, von Vietnam, von Griechenland, von Kroatien genießen, vielleicht auch bald wieder von China

 

·       Unsere beiden Weltläden sind Garanten im Einsatz für den weltweiten fairen Handel

·       Und auch die Steuerungsgruppe der Fairtradestadt Weilburg setzt sich für den weltweiten fairen Handel ein

·       Weilburg ist Fairtrade-Stadt, seit 2013

·       Der Umsatz an Fairtrade-Produkten liegt in Weilburg sehr, sehr deutlich über dem Bundesdurchschnitt, Weilburg ist hier vorbildlich

 

·       Weilburg ist Europa-Stadt

·       Städtepartnerschaften verbinden uns mit Privas/Frankreich (1958), Zevenaar/Niederlande (1966), Kezmarok/Slowakei (1998), Colmar-Berg/Luxemburg (2004), Kizilcahamam/Türkei (2006) und Quattro Castella/Italien (2010): Begegnungen der Erwachsenen, Jugendaustausch, Kontakte der Rathäuser, Kontakte der Vereine

·       Europa-Union und Städtepartnerschaftsverein gestalten das Leben im gemeinsamen europäischen Haus mit,  gemeinsam mit dem Rathaus.

 

·       Unsere Vereine und Initiativen setzen sich ein für Bildung, Wasserversorgung und medizinische Versorgung, für partnerschaftliche Hilfe in Südafrika, Tansania, Uganda, um nur drei Beispiele zu nennen.

 

·       Der Lions Club Weilburg und der Rotary Club Weilburg sind jeweils weltweit vernetzt und organisiert, helfen auch weltweit, die Lions bei der Gewinnung von sauberem Wasser, die Rotarier bei der Hilfe für behinderte Menschen sowie Kindern in Krisensituationen bei der der Bekämpfung der Polio-Erkrankung.

 

·       Die Evangelische Kirchengemeinde Weilburg und die Katholische Kirche Oberlahn helfen vor Ort und weltweit.

·       Die Türkisch-Islamische Gemeinde ist in Weilburg zu Hause, gestaltet das Leben und Zusammenleben bei uns mit

 

·       Viele Menschen haben Patenschaften für Kinder in Afrika, Lateinamerika und Asien übernommen

·       Flüchtlinge aus Afghanistan, Syrien, Eritrea und vielen Ländern mehr kommen hilfesuchend zu uns, erfahren Rat und Hilfe, Begleitung und Beistand, An- und Aufnahme

 

·       Soldaten der Bundeswehr, auch aus unserer Heimat leisten ihren Dienst in Afghanistan und an manch anderem Ort in der Welt

 

·       Und spätestens beim Klima merken wir Weilburger in unserem Alltag, in unserer Natur und Landschaft, dass wir in einer globalen Welt leben. Unsere Fichten sterben, unsere Buchen erkranken und die Vielfalt der Tierwelt ist bedroht und wandelt sich.

·       Auch die Waschbären (aus Nordamerika) und die Nilgänse (aus Ägypten) bei uns künden von einer globalen Welt, die Wölfe aus Osteuropa rücken ebenso näher wie dahinter auch die Braunbären.

·       Im Wildpark bereiten uns die Braunbären aus der Slowakei und die Elche aus Skandinavien große Freude.

 

·       Und schließlich servieren uns die Medien rund um die Uhr Informationen aus aller Welt, verbinden die Menschen weltweit

 

Wenn ich an Globalität denke, wenn ich an die Internationalität unseres Lebens denke, wenn ich an aktuelle Erscheinungen in unserer bundesdeutschen Gesellschaft und Politik denke, dann geht mir eine Geschichte von Helmut Wöllenstein nicht aus dem Kopf, und zwar zu jeder Jahreszeit, auch wenn die Geschichte von der Zeit drei Tage vor Weihnachten handelt, also eigentlich erst in drei Monaten ihre Zeit hat, und daher möchte ich sie an den Schluss meiner Ansprache stellen. Gleichzeitig ist die Geschichte Botschaft und Appell:

  

Es war einmal … etwa drei Tage vor Weihnachten, spät abends. Über den Marktplatz der kleinen Stadt kamen ein paar Männer gezogen. Sie blieben an der Kirche stehen und sprühten auf die Mauer „Ausländer raus“ und „Deutschland den Deutschen“. Steine flogen in das Fenster des türkischen Ladens gegenüber der Kirche. Dann zog die Horde ab. Gespenstische Ruhe. Die Gardinen an den Bürgerhäusern waren schnell wieder zugefallen. Niemand hatte etwas gesehen.

 

„Los kommt, es reicht, wir gehen.“ „Wo denkst du hin! Was sollen wir denn da unten im Süden?“

 

„… da unten? Das ist immerhin unsere Heimat. Hier wird es immer schlimmer. Wir tun einfach das, was an der Wand geschrieben steht: Ausländer raus!“

 

Tatsächlich, mitten in der Stadt kam Bewegung in die kleine Stadt. Die Türen der Geschäfte sprangen auf: Zuerst kamen die Kakaopäckchen heraus mit den Schokoladen und Pralinen in ihren Weihnachtsverkleidungen. Sie wollten nach Ghana und Westafrika, denn da waren sie zu Hause. Dann der Kaffee, palettenweise, der Deutschen Lieblingsgetränk, Uganda, Kenia und Lateinamerika waren seine Heimat. Ananas und Bananen räumten ihre Kisten, auch die Trauben und die Erdbeeren aus Südafrika. Fast alle Weihnachtsleckereien brachen auf, Pfeffernüsse, Spekulatius und Zimtsterne, denn die Gewürze in ihrem Inneren zog es nach Indien. Der Dresdener Christstollen zögerte. Man sah Tränen in seinen Rosinenaugen, als er zugab: Mischlingen wie mir geht’s besonders an den Kragen. Mit ihm kamen das Lübecker Marzipan und der Nürnberger Lebkuchen.

 

Nicht Qualität, nur Herkunft zählte jetzt. Es war schon in der Morgendämmerung, als die Schnittblumen nach Kolumbien aufbrachen und die echten Pelzmäntel mit Gold und Edelsteinen an ihrer Seite in teuren Chartermaschinen in alle Welt starteten.

 

Der Verkehr brach an diesem Tag zusammen. Lange Schlangen japanischer Autos, vollgestopft mit Optik und Unterhaltungselektronik, krochen gen Osten. Am Himmel sah man die Weihnachtsgänse nach Polen fliegen, auf ihrer Bahn gefolgt von den feinen Seidenhemden und den Teppichen aus dem fernen Asien.

 

Mit Krachen lösten sich die tropischen Hölzer aus den Fensterrahmen und schwirrten zurück ins Amazonasbecken. Man musste sich vorsehen, um draußen nicht auszurutschen, denn von überall her quollen Öl und Benzin hervor, flossen zu Bächen zusammen und strömten in Richtung Naher Osten. Doch man hatte bereits Vorsorge getroffen. Stolz holten die großen deutschen Autofirmen ihre Krisenpläne aus den Schubladen: Der alte Holzvergaser war ganz neu aufgelegt worden. Wozu ausländisches Öl?

 

Aber es half nichts, die VWs und BMWs begannen sich aufzulösen in ihre Einzelteile, das Aluminium wanderte nach Jamaika, das Kupfer nach Somalia, ein Drittel der Eisenteile nach Brasilien, der Naturkautschuk nach Zaire. Und die Straßendecke hatte mit dem ausländischen Asphalt im Verbund auch immer ein besseres Bild abgegeben als heute.

 

Nach drei Tagen war der Spuk vorbei, der Auszug geschafft, gerade rechtzeitig zum Weihnachtsfest. Nichts Ausländisches war mehr im Land. Aber Tannenbäume gab es noch, auch Äpfel und Nüsse. Und „Stille Nacht“ durfte gesungen werden – wenn auch nur mit Extragenehmigung, das Lied kam immerhin aus Österreich!

 

Nur eines wollte nicht so recht ins Bild passen, Maria, Josef und das Kind waren geblieben. Drei Juden. Ausgerechnet!

 

„Wir bleiben“, sagte Maria, „wenn wir aus diesem Land weggehen – wer will ihnen dann noch den Weg zurück zeigen, den Weg zurück zur Vernunft und zur Menschlichkeit?“

 

Wir leben alle in einem globalen Weltdorf, weltweit, aber auch in unserer kleinen Stadt Weilburg an der Lahn, mitten in Deutschland! Und daher brauchen wir lebensnotwendig Respekt und Achtsamkeit und Solidarität in unserem Zusammenleben. Keiner ist eine Insel, keiner kann auf Dauer alleine leben. Wir brauchen einander, in Weilburg und in der Welt.

  

Ich danke Ihnen für Ihr Kommen und Ihre Aufmerksamkeit!

  

Weilburg an der Lahn, 24. September 2019

 

Hans-Peter Schick 

Bürgermeister a.D.

Schriftführer Geschichtsverein Weilburg

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